Briefwechsel 

zwischen

Friedrich Maximilian Klinger und Wilhelm Heinse, 

zunächst über

d a s  S c h a c h s p i e l

                         Klinger  an  Heinse.

      Das  ist  brav  von  Dir,   mein  lieber  Bruder,   daß  Du  mir
sogleich antwortest und meine Bitte besorgtest.
       Vor allen Dingen die Ursach´,  warum Du  nicht zu uns  kommst 
und wenn Du kommst !    Dies  beantworte  in  deutlichen  Worten und 
nach  dem Wunsch  meines  Herzens,  wenn´s  anders in Deiner Gewalt 
steht ihn zu befriedigen.
     Vom Schachspiel hast Du geschrieben,  wie ich´s  dachte und erwar- 
tete.  Was  das  anlangt,  daß  Du  mir  so  heldenmüthige  Drohungen 
entgegenwirfst,  so höre:  Ich  fordere Dich  heraus im  Grimm,  kommst 
Du nicht bald,  so zwing´  ich Dich  (oder genieße meines Siegs) schrift- 
lich mit mir eine Lanze  zu  brechen,  und  dann  wollen  wir  sehen,  wie 
der  Herr  seine  Untergebene  zu  brauchen  weiß.  Der Stoff der Unter- 
haltung  für  Ehre  und  Geist,  die  Mannichfaltigkeit  des  Spiels,  ist 
beydes  reicher  und  größer  als  Du  merken  willst.  Wie viel  tausend 
Veränderungen  glaubst  Du,  daß  das  Spiel  hat ?   Multiplicire  die 
Felder immer unter sich  und gegen einander,  so wirst Du eine ungeheure 
Zahl kriegen.  Die Willkührlichkeit zu leugnen ist ungerecht.  Ich  spiel´
nie ohne zwey Plans,  nächst den falschen Attaquen,  und hab´ ich´s  mit
einem  Kriegsheld   zu   thun,    so  ruinirt  er  mein  Projekt  auf   den 
Augenblick,  durch  jeden Zug,  und  ich  habe  zu thun  und  zu schaffen, 
wieder meinem Plan auszuhelfen,  zu cachiren ec.
      Welche Mannichfaltigkeit und  große  Willkührlichkeit,  wenn ich´s
trotz  allen  Gegen-Manoevres dahinbringe,  wohin ich´s wollte !  Aus- 
wendig  lernen  ist  platterdings  unmöglich,    da  jeder  Zug  eine  neue 
Defension,   neue  Attaquen  und  oft  ein  neues  Projekt  hervorbringt, 
vide :  die  Multiplication.  Was  heißt  endlich  das,  ein mittelmäßiger 
Kopf kann gut spielen und außerdem keinen Hund aus dem Ofen locken ? 
Also  ein  großer  General,  der  keine  Verse  machen  könnte,  wär´ ein 
mittelmäßiger Kopf,  weil  er  außer seinem Kriegshandwerk nichts weiter 
verstünde ?  und derjenige,  der den  höchsten  Grad der  Aufmerksamkeit, 
Berechnung der Möglichkeit und Unmöglichkeit  zur Durchsetzung  eines 
Project´s  und  der  dazu  gehörigen Fälle  besitzt,  kann auch jedes andre 
Ding fassen,  das diesen Grad der Aufmerksamkeit erfordert,  und  dieser 
Grad  geht  weit.  Wer  sagt  Dir,  daß  die  Bauern  in  Ströpke nicht 
mehr  als  Bauern  in  Ströpke  seyen,  wenn  sie  diese Attention  und 
Fleiß  auf  etwas  anders  gewendet  hätten !  Nun  die  Parallele !  Ich
hab´ die  dümmsten  Klötze  Billard  spielen  sehen,  die Dich und Deine 
Meister  übertreffen,   und  kein  dummer  Kerl  hat´s  weit  im  Schach 
gebracht !   Das  Billard  erfordert  hauptsächlich  Uebung,  und  es  ist 
dann damit,  wie  mit  dem  Exerciren  des  Soldaten und  dem Schießen 
eines  Schützen.  Aber  was  erfordert  das  Schach  nicht  alles ?  Daß 
man etwas gescheiteres thun könne,  geb´ ich  zu.  Aber  wo ist  der Kerl, 
der  immer  was  gescheitres  thut und thun kann ?   Ich  kenne ihn nicht 
und möchte ihn nicht kennen,  noch  weniger in  seiner Gesellschaft  seyn. 
Mich  däucht´,  Bruder,  Du  bist mit  dem  Schach  anfangs  zu hitzig 
gewesen und hast Dir  gleich  Anfangs  den Kopf  angestoßen,  daß Dir
die  Geduld  ausgieng.    Es  gieng  mir  auch  so.    Ich  verfluche  es
hundertmal und fing  doch  von neuem an,  bis  mir´s  ganz  helle  ward.
Noch  eins,  ich  kenne bis dato kein Weib,  die es  weit im Schachspiel
gebracht hätte,  ich will nicht  sagen  bringen  könnte.  Du wirst mir mit
Herz,  Phantasie  und  dergleichen  antworten,  aber  das  ist  hier  nicht 
anzuwenden,  Sehen,  Verstehen,  Berechnen,  zu rechter Zeit wagen, hier
Verliehren um  dort mit  mehrem Profit  weiter  zu kommen,  das ist  die
Sache.
      Ich gehe den Krieg im Merkur mit Dir ein.
      Den Merkur hab´ ich noch nicht kriegen können.  Ich  hatte  längst 
Lust,  den Krieg anzufangen,  hab´ aber  noch  keinen  gefunden,  der auf 
Leben und Tod angehen kann.
      Den  ersten  Wisch  vom  Göttersohn  hab´ ich  drucken lassen, um 
zu  probieren,  wie  man´s  verdaut.   Laß  Dir´s  im  Buchladen  holen. 
Was  dasteht vom Wandel  des  Genie´s  auf  Erden,  hat  mit den einst 
unter uns  verabredeten Ideen  keine  Aehnlichkeit,  sondern lag schon im
Göttersohn und auf ganz andre Art.  Also kein Eingriff  in Deine  Idee, 
wie  Du  selbst  gemerkt  hast  und  merken  wirst.  Der  St..... ist  zu
aller Befriedigung  da und  vielleicht  zu  der Deinigen.  Hab´ zeither die 
Geschichte des neuen Orpheus  geschrieben,  die Du zur Zeit  lesen sollst. 
Ist aber nicht musikalisch,  hat auch keine Euridice. - -
      Der E......  hab´ ich  alles  gesagt  und  erklärt.  Der  Löwe grüßt 
und  küßt  sanftmüthig  und  liebevoll  alles  was  ihn  grüßt und  seiner 
denkt.  Dank  insbesondre  dem  lieben  Fritz  für  die  Mittheilung  des
Brief´s.
      Lies  gleich  den  Göttersohn  und sag´ mir was man sagt und was 
Du sagst.
                                                                               Addio.

     Küsse von Donna und Don  - nebst  Erwartung  daß  Du  kommst
 -  wie auch an alle die Lieben !

                                        _________ 
 

Quelle:  Aus dem Gedenk - Buch  zur vierten Jubelfeier der Erfindung der 
Buchdruckerkunst begangen zu  Frankfurt am Main am 24. ten und 25. ten
Junius 1840 - Eine Festgabe herausgegeben von den Buchdruckern, Schrift-
giessern und Buchhändlern.   - Erinnerungsblätter aus dem geistigen Leben
der Vergangenheit  (1756 - 1833).      - Aus der Sturm und Drangperiode.
- Briefwechsel zwischen Klinger und Heinse,  zunächst über das Schachspiel
Seite  99 - 101.


 


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