Klinger an Heinse.
Das
ist brav von Dir, mein lieber
Bruder, daß Du mir
sogleich antwortest und meine Bitte besorgtest.
Vor allen
Dingen die Ursach´, warum Du nicht zu uns kommst
und wenn Du kommst ! Dies
beantworte in deutlichen Worten und
nach dem Wunsch meines Herzens,
wenn´s anders in Deiner Gewalt
steht ihn zu befriedigen.
Vom Schachspiel hast
Du geschrieben, wie ich´s dachte und erwar-
tete. Was das anlangt,
daß Du mir so heldenmüthige Drohungen
entgegenwirfst, so höre: Ich
fordere Dich heraus im Grimm, kommst
Du nicht bald, so zwing´ ich
Dich (oder genieße meines Siegs) schrift-
lich mit mir eine Lanze zu brechen,
und dann wollen wir sehen, wie
der Herr seine Untergebene
zu brauchen weiß. Der Stoff der Unter-
haltung für Ehre und
Geist, die Mannichfaltigkeit des Spiels,
ist
beydes reicher und größer
als Du merken willst. Wie viel tausend
Veränderungen glaubst Du,
daß das Spiel hat ? Multiplicire
die
Felder immer unter sich und gegen einander,
so wirst Du eine ungeheure
Zahl kriegen. Die Willkührlichkeit
zu leugnen ist ungerecht. Ich spiel´
nie ohne zwey Plans, nächst den falschen
Attaquen, und hab´ ich´s mit
einem Kriegsheld zu
thun, so ruinirt er mein Projekt
auf den
Augenblick, durch jeden Zug,
und ich habe zu thun und zu schaffen,
wieder meinem Plan auszuhelfen, zu cachiren
ec.
Welche Mannichfaltigkeit
und große Willkührlichkeit, wenn ich´s
trotz allen Gegen-Manoevres
dahinbringe,
wohin ich´s wollte ! Aus-
wendig lernen ist platterdings
unmöglich, da jeder Zug eine
neue
Defension, neue Attaquen
und oft ein neues Projekt hervorbringt,
vide : die Multiplication. Was
heißt endlich das, ein mittelmäßiger
Kopf kann gut spielen und außerdem keinen
Hund aus dem Ofen locken ?
Also ein großer General,
der keine Verse machen könnte, wär´
ein
mittelmäßiger Kopf, weil
er außer seinem Kriegshandwerk nichts weiter
verstünde ? und derjenige, der
den höchsten Grad der Aufmerksamkeit,
Berechnung der Möglichkeit und Unmöglichkeit
zur Durchsetzung eines
Project´s und der dazu
gehörigen Fälle besitzt, kann auch jedes andre
Ding fassen, das diesen Grad der Aufmerksamkeit
erfordert, und dieser
Grad geht weit. Wer sagt
Dir, daß die Bauern in Ströpke
nicht
mehr als Bauern in Ströpke
seyen, wenn sie diese Attention
und
Fleiß auf etwas anders
gewendet hätten ! Nun die Parallele !
Ich
hab´ die dümmsten Klötze
Billard spielen sehen, die Dich und Deine
Meister übertreffen, und
kein dummer Kerl hat´s weit im
Schach
gebracht ! Das Billard
erfordert hauptsächlich Uebung, und es
ist
dann damit, wie mit dem
Exerciren des Soldaten und dem Schießen
eines Schützen. Aber was
erfordert das Schach nicht alles ? Daß
man etwas gescheiteres thun könne,
geb´ ich zu. Aber wo ist der Kerl,
der immer was gescheitres
thut und thun kann ? Ich kenne ihn nicht
und möchte ihn nicht kennen, noch
weniger in seiner Gesellschaft seyn.
Mich däucht´, Bruder,
Du bist mit dem Schach anfangs zu hitzig
gewesen und hast Dir gleich Anfangs
den Kopf angestoßen, daß Dir
die Geduld ausgieng.
Es gieng mir auch so. Ich
verfluche es
hundertmal und fing doch von neuem
an, bis mir´s ganz helle ward.
Noch eins, ich kenne bis dato
kein Weib, die es weit im Schachspiel
gebracht hätte, ich will nicht
sagen bringen könnte. Du wirst mir mit
Herz, Phantasie und dergleichen
antworten, aber das ist hier nicht
anzuwenden, Sehen, Verstehen,
Berechnen, zu rechter Zeit wagen, hier
Verliehren um dort mit mehrem Profit
weiter zu kommen, das ist die
Sache.
Ich gehe den Krieg
im Merkur mit Dir ein.
Den Merkur hab´
ich noch nicht kriegen können. Ich hatte längst
Lust, den Krieg anzufangen, hab´
aber noch keinen gefunden, der auf
Leben und Tod angehen kann.
Den ersten
Wisch vom Göttersohn hab´ ich drucken
lassen, um
zu probieren, wie man´s
verdaut. Laß Dir´s im Buchladen
holen.
Was dasteht vom Wandel des Genie´s
auf Erden, hat mit den einst
unter uns verabredeten Ideen keine
Aehnlichkeit, sondern lag schon im
Göttersohn und auf ganz andre Art.
Also kein Eingriff in Deine Idee,
wie Du selbst gemerkt
hast und merken wirst. Der St..... ist
zu
aller Befriedigung da und vielleicht
zu der Deinigen. Hab´ zeither die
Geschichte des neuen Orpheus geschrieben,
die Du zur Zeit lesen sollst.
Ist aber nicht musikalisch, hat auch keine
Euridice. - -
Der E......
hab´ ich alles gesagt und erklärt.
Der Löwe grüßt
und küßt sanftmüthig
und liebevoll alles was ihn grüßt
und seiner
denkt. Dank insbesondre dem
lieben Fritz für die Mittheilung des
Brief´s.
Lies gleich
den Göttersohn und sag´ mir was man sagt und was
Du sagst.
Addio.
Küsse von Donna und
Don - nebst Erwartung daß Du kommst
- wie auch an alle die Lieben !
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Quelle: Aus dem Gedenk - Buch
zur vierten Jubelfeier der Erfindung der
Buchdruckerkunst begangen zu Frankfurt am
Main am 24. ten und 25. ten
Junius 1840 - Eine Festgabe herausgegeben von
den Buchdruckern, Schrift-
giessern und Buchhändlern. -
Erinnerungsblätter aus dem geistigen Leben
der Vergangenheit (1756 - 1833).
- Aus der Sturm und Drangperiode.
- Briefwechsel zwischen Klinger und Heinse,
zunächst über das Schachspiel
Seite 99 - 101. |