Aphorismen von Wilhelm Heinse


Wer nicht sagt,  was er für wahr hält, ist entweder ein Heuchler, oder ein Feiger, oder ein gebrechlicher Mensch.   Wer den  Star stechen  will, muß  können sehend machen, und den Leuten beweisen, daß Sehen besser sei als Blindsein.

Leben und Tod; daraus ist alles zusammengesetzt. Das Leben ist immer in Bewegung ; und der Tod das, woran sich das Leben hält.  Licht ist dünnes Leben in der schnellsten Bewegung, volles Leben in der schnellsten Bewegung Feuer.

Das Lesen bleibt immer Unnatur, und der Mensch kann nur mit Gewalt oder durch Langeweile dazu gebracht werden. Es wird nie einer anfänglich viel Lust dazu gehabt haben.

Ein Schulmeister könnte etwas Herrliches über Physiognomik schreiben.

Wer auf die Sitten wirken will, muß seine Sätze zur Religion machen. Alles andre, was die besten Schriftsteller sagen, geht zu einem Ohr hinein und zum andern wieder heraus.

Wider die Religion schreiben, hilft so viel als nichts. Das Beste, was man dabei tut, ist, man löscht aus. Und welch ein Ruhm, welch ein Verdienst, einen nassen Schwamm vorstellen ?

Die sogenannten Verständigen, die Weltleute, lesen bloß aus Langeweile. Wenn sie das Buch gelesen haben, so haben sie´s gelesen. Und damit ists aus.

Die Menschen gehen jeden am nächsten an. Es ist schön und groß, sie von Übeln zu befreien, und das Gute für jedes an die Stelle zu setzen.

Goethe hat viel getan ; er hat die Menschen zur Natur gerissen.  Aber sie wissen sich dabei nicht zu fassen. Sie wollen eine Ursache von allem haben; und die finden sie nicht bei ihm. Sie leben immer in den Tag hinein, in der Irre. Und da ist keine Ruhe.

Wir leben.  Wir sind.  Wir denken.  Wir sind uns selbst bewußt.  Wir können überlegen. Schließen, wählen. Wir fühlen uns frei. Aus nichts wird nichts. Es muß etwas da sein, was dies alles wirkt und tut und hervorbringt. Dies muß ewig sein. Es kann nicht werden. es ist. Es ist im kleinen in uns. Sollt es nicht im großen sein ?  Es ist ein Gott. Sind wir Teile von ihm, Funken, angezündete Lichter ?  Wir müssen Teile von ihm sein ::denn so etwas, wie Seele, läßt sich nicht anzünden.  Es ist.

Der Deutsche ißt und trinkt gern etwas Gutes, aber nichts allzu Feines oder allzu Scharfes. Er hält überhaupt die herrliche Mittelstraße, wobei man wohl am glücklichsten zu sein pflegt ; denn alles zu Scharfe oder zu Feine ist eine Spitze, die entweder nur einen Moment Empfindung läßt oder leicht Schmerz erweckt ; doch ist dieser Moment immer das höchste Leben, und folglich, wenn man Glückseligkeit ohne Rücksicht auf Zeit betrachtet, auch der glücklichste.

Du hast Gott näher in dem unordentlichsten lebendigen Frühlingsrasen voll Blumen als in allen Gestirnen des Himmels.

Von Gott sich einen Begriff sich abstrahieren zu wollen ist ebenso, als ein Konzert sich als einen Ton denken.

Alles Große besteht aus Kleinem.  Wer vom Kleinen nicht Besitz nimmt, kann das Große nie erwerben.

Ich habe noch keinen Charakter in der Natur gefunden, der sich immer gleichgeblieben wäre ; so wenig als einen Baum, der sich von keinem Winde bewegt hätte. Und wie hart ist das weichste Holz gegen den rauhsten Menschen ?

Aller Herrschaft Druck ist schwer ; man muß den Menschen immer freiwillig handeln zu lassen scheinen.

Alles Lebendige entspringt aus keiner Quelle allein, sondern aus unzähligen Adern. Was aus einer allein entspringt, kann nicht lange bestehen.

Die Parzen und Glück und Unglück bestimmen unser Leben ; und deren Willen weiß niemand.

Den epischen Vers darf man nicht nach unsrer gewöhnlichen Sprache bilden, sonden nach der Sprache eines Begeisterten.

Gib nichts auf keines Menschen Wort ; das ist die höchste Freiheit.

Ein Dichter ist ein Mensch, der mit scharfen Sinnen unter einem wilden Volk geboren und aufgewachsen ist und sich in seinen besten Jahren unter aufgeklärten Köpfen ausgebildet hat.   Der Beweis sind fast alle großen Dichter, Homer, Virgil, Shakespeare, Ariost.

Der Mensch handelt so lang aus Interesse und muß darnach handeln, bis er reich ist; als denn kann er mitteilen :: Und das in allem, körperlich und geistig, und nach äußern Umständen.  Freiheit ist Reichtum.

Jeder große Greis ist ein großer Dichter.  Er sieht aus der Gegenwart in die Vergangenheit und Zukunft.

Die Kunst ist so etwas Inniges, daß sich nichts davon entwickeln läßt.

Kein Mensch kann auch nur einen Moment in seinem Leben mehr sein, als er eben ist.

Man kann nicht eher ruhen, als bis man müde ist.

Der Magen ist der König im Schachspiel des menschlichen Lebens.

Das Berühmtwerden der meisten geschieht mehr durch andre als durch sie selbst.

Die Dichter und Künstler sind wie die Bienen, sie müssen Blumen und Blüten und einen ruhigen Platz an Quellen haben, um Honig zu bereiten. Die Prinzen und Reichen dürfen sie hernach nur nicht zu stark beschneiden, sonst gehn sie zugrunde.

Das Glück kann man nicht machen, man muß es annehmen, wie es kömmt, aber mit Verstand brauchen.

Alles Leben hat keinen Stillestand, und das schönste ist das schnellste.

Groß ist, was über das gewöhnliche Maß geht.  Wer also etwas groß nennt, muß das Maß angeben, das das Gewöhnliche bei ihm hält. Vom Menschen überhaupt ist derjenige groß, der ein freies völliges Erkenntnisvermögen mit gesundem reinen Sinn hat, denn gewöhnlich ist seine Seele schon mit Vorurteilen verdorben.

Neuheit und Gewohnheit sind zwei gute Schlüssel zu wunderbaren Begebenheiten.

Die Sonne löscht alle Freuden der Nacht aus, die stärksten Gefühle der Vergangenheit und Zukunft.

Die Wahrheit ist die Nahrung der Seele und der gute Geschmack ihr Vergnügen, ihr sauer und süß und bitter. Witz und Laune gehören also zum guten Geschmacke, so wie Champagner zum Vergnügen.

Derjenige Mensch und Bürger ist vollkommen, welcher seine und des Staates Rechte kennt und ausübt.


 


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