Ungedruckte  Briefe  Wilhelm  Heinse`s.

2.  Brief


                  An  Herrn
              Sekretär  Schmidt.

                                   Hannover, den 2.May 1774.

    Nur  die  Ueberschrift  von  den  vielen tausend  Gedanken 
und Empfindungen zu sagen, die ich Ihnen, mein lieber Bruder 
Schmidt,  sagen  wollte,  fehlt mir  die  Zeit - kurz !   ich muß 
befürchten,  die Post  zu  versäumen,  weil ich  mich  verspätet
habe. Vielleicht  schreib´  ich  Ihnen diese Woche  noch  ein- 
mahl von hier aus ;  wir bleiben hier bis  den  8ten  dieses.
    Laidion und den Hellwingischen Brief  hab´ ich empfangen; 
ich  bin  mit  allem  völlig  zufrieden,  nur  damit  nicht,  daß
keine  Ducaten  dadey  waren.   Mein  Beutelchen  ist  schon 
schmälig helle, kaum  find´ ich  noch  drey  Pistolen darinnen, 
und der Gedanke,  daß  ich  so  ganz  ohne Geld nach Düssel- 
dorf  kommen  soll,   foltert  die  Hochachtung  und  Liebe  in
meiner Seele,  die ich  gegen  Halberstadt habe.
    Hellwing  hätte  mir  wenigstens  15  Ducaten  übersenden
können,   und  dann  hätt´  ich  wie   ein   leichter  geflügelter
Genius mich den Düsseldorfern gezeigt.
        Frey,  wie  in Gott,  von Furcht und Graus.
So  aber  muß  ich  einstweilen  essen  und  trinken,  wo man 
mir was geben will.    Genug davon.
    Papier,  Druck und Vignette  ist  schön  an Laidion;  nur
einige  Druckfehler  ausgenommen.  Z.B.:  im  ersten  Buche: 
S. 11  Zeile  16   wo   Tempel   für  Tempe   steht.    S. 182 
Z. 2.  Ausbildende  für  ausblendende;   Appelles  verschiedene 
Mahl  für  Apelles.      S. 246.   Z. 14.  Es   ist   mir   zu 
wichtig  für:  es  ist  nur  zu  richtig.    S. 314.   Z. 9.  eben 
für  aber.     S. 407.   Z. 1.   nach   für   noch.      S. 444. 
Stanze  10.   auszuschleifen  für   aufzuschleifen.      S. 457. 
St. 35.  So schön sie zu  -- und hier  u.s.w.
                     für
          So schön sie zu !  Wie zärtlich sie ihn an
          Sich drückt ! -- und hier ergreift  u s.w.
und noch einige andere minder beträchtliche.   Sie  machen  oft 
die ganze Stelle ungereimt und lächerlich. Nächstens übersende 
ich  Ihnen  das  ganze  Verzeichnis  zu Ihrem  Exemplare.
     Daß  die  Erzählungen  nicht  gedruckt worden  ist mir in 
so  fern  höchst  angenehm,  wenn ich  das  ganze Manuscript 
wieder  erhalte,    um  vieles  daran  zu  ändern  und  zu  ver- 
bessern.  Binnen  4 Tagen  soll  es Hellwing wieder erhalten. 
Sie  thun  mir  die  größte  Gefälligkeit,  mein  lieber  Bruder 
Katull und Petrarca Schmidt,  wenn  Sie  dieses  Hellwingen 
so gleich schreiben,  und  ihn in  meinem  Namen  bitten,  mir
es  nach  Düsseldorf  auf  meine  Kosten  zu  übersenden. Es 
würde  vieles  abgeschmackt  darinnen  klingen,   da  sie  diese
Ostermesse nicht herauskommen. Vergessen Sie dieses ja nicht 
in  Ihren  Zerstreungen.
     Die Volkslieder im Meßkat.   sind von Herder.
     An  den  Romanzen können  Sie  immer  sammeln;  viel- 
leicht kann sie Hellwing auf die Michaelismesse herausgeben 
     In Hannover  ist  die Musik  so vortrefflich,  als sie nur
irgend  in  einer  Stadt  von  Teutschland seyn kann -  näm- 
lich  die  Instrumental Musik.   Ich  habe hier Virtuosen auf 
der  Geige  gehört,   die  zu  Neapel  und  Venedig  bewundert 
werden  würden.  Ihr  Geschmack  ist  der  beste.   Sie haben 
die besten Musikalien von den größten Meistern.  Die  Opern 
von Galuppi,  Jomelli,  Piccini,  Englielmi  - kurz, das beste 
was  man  haben  kann.       Die  Schwäger  unsers  Jakobi 
haben  ganze  Sääle  voll  Musikalien  und  die  besten  In- 
strumente.  Vorgestern  haben Sie  ihm  und mir  ein Concert 
gegeben,  wogegen die halberstädtischen  Geigen zu Bierfiedeln
wurden. 
    Die  hiesigen  Virtuosen  haben  den  einzigen  Fehler, daß 
sie  nichts  ausstehen können,  was  nicht  Italiänisch,  oder - 
doch  nur in  der Instrumentalmusik,  teutsch ist.   Es ist hier 
eine  französische  Truppe,  die die  besten Stücke von Favart, 
von Gretri,  und  Filidoro  geseßt,  freylich  nicht  zum  besten, 
aufführt,  und  sie  können  die  Musik  von  Gretri und Fili- 
doro  nicht  ohne  verzogene  Gesichter  anhören.  Jakobi  fand 
einige  Arien  schön,  und  als  sie  dies hörten,  liefen sie alle 
von  ihm  weg,  und  ließen  ihn  allein  stehen. Ich  habe  ihn 
einigermaaßen vertheidigt,  so wie er sich selbst,  und sie haben 
nun doch etwas nachgegeben.
    Was  die  Sitten  betrift,   so ist zwischen  hier und  Zelle 
ein  ungeheuer  großer  Unterschied.  In  Zelle sind  Mädchen 
und  Damen  so  sanft,  so  unschuldig,  so voll Naivetät,  so 
zärtlich,  und  doch  so  tugendhaft  dabey,  so  gefühlvoll  für 
alles  was  schön,  und  noch  mehr  für  das,  was  schön und 
gut  zugleich  ist,  daß man glaubt,   in ein Elysium gezaubert 
zu  seyn,  wenn  man  an  ihrer  Seite  eine Ariette von  Per- 
golesi spielt,  oder  ein  rührendes  Geschichtchen  erzählt,  oder 
mit  ihnen  den  Frühling  auf  der  Erde ,   oder  den  heitern 
Himmel  voll  Sterne  bey  Nacht  betrachtet. - In  Hannover
scheint  man  gar  nicht  zu  wissen,  wie man  ein  gefälliges 
Gesicht macht;  und das Danken  und Knicksmachen ist  ganz 
ausser der Mode;   die Gesichter stehen ihnen auf den Nacken,
als wenn sie von Marmor wären,   und  ihre  Gespräche  sind 
eine immerwährende Persifflage. -
    Vergessen  Sie  es  ja  nicht,  mein goldenes Schmidtchen, 
Hellwingen  zu  schreiben,  daß  er mir  das  Manuscript  der 
Erzählungen  sogleich  nach  Düsseldorf  sende.  Es würde ein 
Nagel in meinen Sarg seyn,  wenn  diese  Erzählungen  nun- 
mehr  so  abgedruckt  würden,  wie  sie  jetzt  geschrieben sind; 
denn  Rammlers  Lieder  der  Deutschen  sollen dagegen keine 
große Figur machen,   so eine geschmackvolle  Sammlung soll 
es werden.
    Ihr Schwesterchen  -  bey  den Grazien !  geben  Sie  Ihr 
doch   gleich   mit  meinem  Geiste  ein  halbes  hundert  ihrer 
jugendlichsten  Küsse  auf  Hand  und Mund,  für die unver- 
diente  Wohlgewogenheit  und  Gnade,  womit  sie mich  beehrt 
und beglückt.
    Für  Vater  Gleim,  für meinen lieben jungen  Gleim,  für 
unsern  Doctor  Fritz  lassen Sie sich  von Leipzig noch  drey 
Exemplare   von  Laidion  von   den  meinigen   senden,   und 
empfelen  Sie  Ihnen   mich  und  sie;   die  übrigen  kommen 
nach  Düsseldorf.  Woraus  ich  vermuthlich  selbst  noch  ein 
Paar  nach  Halberstadt  senden  werde;    wozu  ich  erst  die 
Commentare  noch  machen  muß.    Der  Himmel  mache  ihr 
Badewasser zu  einem  Bache der Jugend,  und ihre Küsse zu 
Bechern voll Grazienquelle.
                                                            Heinse.
 

Bemerkung: Der Brief Heinse´s  Nr.2  (hier oben dieser)
ist unter Weglassung von Ort und Datum,  ein  kleines 
Stück aus der Mitte heraus  ( über die Musikverhältnisse
Hannovers ) bei Lautsch  a.o.a.D. ungenügend  gedruckt. 
 

Quelle:   Aus dem Buch   -  Das Goethe´sche Zeitalter der 
deutschen Dichtung, von Eduard Grisebach. Mit ungedruckten
Briefen  Wilhelm  Heinse´s  und  Clemens  Brentano´s.
Verlag Wilhelm Engelmann ( Leipzig 1891 ) S. 164-168


 
 


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