Heinse an Klinger.
Großer König der Thiere !
Schüttle
Deine Mähne nicht, und brülle !
und sey hübsch Amor
Klinger ! Bin mit auf
einem Zuge durch Westphalen gewesen, und haben
meine Wenigkeit andre
Sächelchen aufgehalten, sonst würde
eher zu
Diensten gestanden seyn.
Ich nehme die Weißen und fange
an.
Der Bauer vom König zwey Schritt.
Sans doute werden Ihre schwarze
Majestät gebieten:
Zwey Schritt vom König Bauer.
Könnten
zwar den Ziffern nach noch neunzehnerley
andre gnädige
Kommando´s geben, wenn
sie in die Fußtapfen des hochweisen
Schah
Bahams einzutreten Belieben
stünden; würden aber mit unterthänigstem
Respect zu vermelden, dero
ganze unüberwindliche Armee mit allen ihren
Regimentern, bestehend
aus sieben Officieren, und, wo
ich nicht irre,
acht Gemeinen, in die
Pfanne hauen lassen.
Sind außerdem
schon geschlagen, und ist um ihre Sicherheit geschehen,
weil der weiße Monsieur
den Angriff gethan.
Sieh,
lieber Bruder, und bekenne Deiner Geschicklichkeit
zu Ehren
die Wahrheit !
so viel Willkür
gestattet das Schachspiel.
Wenn ein Paar Stümper
spielen, o ja ! da giebt´s
der willkürlichen
Züge die Menge; aber
wenn zwey ausgelernte Meister daran
kommen,
so gewinnt der, welcher
anfängt. Und läßt das dem
angegriffenen nach
aller Logik nur einen
einzigen willkürlichen Zug zu ?
Ich hoffe nicht,
daß Dir das ein
Böhmisch Dorf seyn wird.
Fast zwar sollt´ ich´s
meynen, nach Deiner Katechisation,
nehmlich : ,, Wie viel tausend Ver-
änderungen glaubst Du,
daß das Spiel hat ? Multiplicire
die Felder
immer unter sich und gegen
einander, so wirst Du eine ungeheure Zahl
kriegen.,, Das wäre !
Da könnten Sie wohl in bona
pace länger an
einem Spiel spielen als
unsers Herrn Gott´s seine Ewigkeit
ist, die,
wie einer von Herders
Propheten sagt, ewiger ist als sonst die
Ewigkeit
zu seyn pflegt.
Frage den größten
Schachspieler, welcher itzt existiert (bekanntermaaßen
der Musicus Philidor in
Frankreich, der mit vier gr0ßen Meistern zugleich
spielt, und jedem das
Spiel abgewinnt, wenn sie ihn anfangen
lassen,
und dazwischen noch eine
Aria
komponiert, womit Madam Brochard
vielleicht in Maynz den
Sieg über die Hellmuth davon tragen
könnte),
er wird Dir das nehmliche
sagen.
Das Schachspiel
ist ein Spiel, wie eine Drehorgel beym
Murmel-
thier ein Instrument zum Phantasieren. Ist
eigentlich kein Spiel, sondern
eine Aufmerksamkeit. Ist
eine Schildwache armseeliger im Grund, als
irgend eine Preußische
zu Wesel oder in Pommern : Denn
die können
doch noch Gras und Blumen,
und Wald und Berg auf ihrem Posten
sehen, und wenn´s
Winter ist, wenigstens schönen weißen
Schnee, und
Sonne, Mond und Sterne,
ihre Flinte und den lieben blauen Himmel;
und obendrein rufen : Abgelöst
! und : Wer da ? Was kannst Du denn
aber bey Deinem geviertelten
Dinge, wenn Du nicht einer zu
gütigen
Madam S..... gegenüber
Dich hingepflanzt hast ?
Der
Herr wirft in seiner Epistel gewaltig
um sich mit General
und Armee, worin aber
die Aehnlichkeit mit der Armee stecke,
weiß er
wohl selbst nicht. Acht
Officire und acht Bauern ? und schöne
Kunst
von Mutter Natur abstrahirt
: zwey Laufer die meilenweit laufen können,
ehe die absurden Pferde einen
Sprung gethan ! und eine Königin, gegen
welche die Kaiserin von
Rußland eine Bettlerin ist ! und einen
König,
gegen den der armseeligste
frigidus und maleficiatus
unter allen ausge-
mergelten und zu Grunde
gerichteten Serailmännern ein Springinsfeld !
Des dummen Fuhrwerks der
Thürme nicht zu gedenken,
so wie der
ganzen übrigen gothischen
Komposition. ,,Sehen, Verstehen, Berechnen,
zu rechter Zeit wagen,
Verlieren, um dort mit mehrerem Profit
weiter
zu kommen,, ; Das ist die
Sache : sagst Du ? Großer Gott ! ich will Dir
noch hundert excellentere
Redensarten aus dem Kriegshandwerk
dazu
spendiren, in Latein,
wenn Du willst, aus dem Cäsar
und Curtius.
Thust Du
doch, Brüderchen, bey Deiner Persiflage, als
ob´s Dein
völliger Ernst wäre.
Daß
Du hierbey noch einen Ausfall auf
die guten Weiber thust,
und ihnen die Fähigkeit
absprichst, es weit darin zu bringen,
hat Dir
die Verzweiflung eingegeben.
Nur ein
Loth Brüsseler Spitzen ist, beym unendlichen
Gewölbe des
Himmels ! was ganz
anders als ein lumpichtes Spiel Schach.
Der
Hauptzug beym schönen Geschlecht
ist Schwäche. Der Hauptzug
der
Schwäche, zum Exempel
beym Hofgesindel, lauern, aufpassen,
i.
e.
Aufmerksamkeit. Das Schachspiel
ist weiter nichts als eine Aufmerk-
samkeit, sogleich könnten
Mesdames
S.. u. F.. immer und ewig
den
Philidor zu Boden spielen,
wenn´s der Narr nicht so gut
auswendig
gelernt hätte, daß
er´s allezeit gewinnen müßte
(wofür er besser mit
Pergolesi und Piccini sich
abgegeben). Aber sieh !
die Angebeteten
halten aus Instinkt sich
für zu edel, ein solch´ Gesindel zu kommandiren.
- Und es kann einen gescheuten
Kerl auch wirklich nichts anders dazu
zwingen, als die Verzweiflung,
etwas anders zu finden, das er
kom-
mandiren könnte. Du magst
für dießmal daran nun wieder genug haben.
Ich schäme mich fast,
nur an eine Vergleichung mit dem
königlichen
Billard zu denken.
Das ist in der That ein Spiel :
Spiel, was die
Griechen Spiel hießen.
Richtiges Augenmaaß, was Lichtenberg
schon
allein für ein untrügliches
Merkmal eines Menschen von Talent
hält,
feste Hand, scharfes Gefühl, das sinnlichste
Anschauen, und den faßlichsten
Begriff von der großen
Idee Bewegung, was noch
kein Philosoph
entwickelt, das Tantillum Glück,
das wie Gewürz und Salz dazu kömmt,
der unvergleichliche Kopf und
Herz stärkende Zeitvertreib, bestehend
in
immer andrer unvermischter Gegenwart,
das Freundschaftliche, das Ge-
sellige, die Augenweide
für die Zuschauer, das Kriegerische,
wo der
Spieler wie ein Gott ein
rundes Stück todtes Bein von einem Elephanten
in einen lebendigen raublüsternen
Adler verwandeln kann - o ! ich mag
nicht daran denken ! sollst
den Triumph anderswo lesen.
Klötze
können gut spielen ? Meinst Du ? Vielleicht
aus Eigenliebe.
Doch es sey. - -
- Wer bei hellem lichten Tage
nicht sehen kann,
muß nothwendig entweder
blind seyn, oder schlafen. Das letztere
würde
natürlicher Weise der Fall
bey Dir seyn, weil Du mir noch Widerrede
halten wolltest : Nehmlich
Du müßtest noch bis dato
ein ziemlich
schwacher Gesell im Schachspiel
seyn. Und fast dürf´t ich´s
denken, da
Du mich im Grimm herausforderst
: Weisheit in irgend einer
Kunst
gestattet sonst selten Grimm
: weil Grimm keine Gegenwart des Geistes
zuläßt. Unterdessen
hab´ ich meinen Zug gethan. Du
kannst nun den
rechten oder linken Thurm
ziehen, oder Laufer, oder
die Pferde ihren
Hupf thun lassen zur rechten
oder linken, auf die rechte oder linke Seite :
Summa Summarum, Du kannst
bei Deinen zwanzig ersten möglichen
Zügen den Finger auf
die Nase legen, oder die flache Hand
an Deinen
Verstandskasten,
und ,, sehen, verstehen,
berechnen, wagen,
verlieren,, und so
fort, so gut wie
bei dem zweiten und dritten.
Aber wenn Du den
Bauer vom König nicht zwey
Schritt ziehst, so
hast Du verloren;
und wenn ich nicht Achtung geben sollte,
weil ich
nicht gern Stundenlang mit
leerem Haupt voll Attention da sitze,
so
hast Du doch wie ein
Einfaltspinsel gespielt und bey allen guten Spie-
lern Dich jämmerlich prostituirt.
Kann dieß
nun nicht auswendig gelernt werden ?
Und kann es
der zweyte, dritte und
vierte Zug nicht ebenso ? Warum
denn nicht ?
Aber ich ziehe so und
so. Meinetwegen : aber dann verlierst Du
das
Spiel, ohne daß
ich mich darum bekümmere.
Das wäre der Teufel !
Nicht anders. Es
heißt hier : lerne was so kannst
Du was. Und
wenn Du´s kannst, so
hat der Spaß ein Ende. Das ganze Schachspiel
ist weiter nichts als
ein Burzelbaum in der Idee :
es geht einmal
krumm und einmal zwerch,
aber immer überein. Da werden
Dir die
Rodomontaden von Berechnungen
und dergleichen Zeug wieder in den
Kopf kommen ; aber laß
Dir doch nichts weiß machen.
Hätte einer
vom Einmaleins noch nichts
gehört, so würde er den für
einen großen
Hexenmeister halten, der
ihm für gewiß sagte, daß
7 mal sieben 49
wäre, wenn er siebenmal
nach einander sieben Einsen zusammengezählt
und endlich herausgebracht hätte,
daß der verdammte Kerl Recht habe.
Heinse.
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Quelle: Aus dem Gedenk - Buch
zur vierten Jubelfeier der Erfindung der
Buchdruckerkunst begangen zu Frankfurt am
Main am 24. ten und 25. ten
Junius 1840 - Eine Festgabe herausgegeben von
den Buchdruckern, Schrift-
giessern und Buchhändlern. -
Erinnerungsblätter aus dem geistigen Leben
der Vergangenheit (1756 - 1833).
- Aus der Sturm und Drangperiode.
- Briefwechsel zwischen Klinger und Heinse,
zunächst über das Schachspiel
Seite 101 - 105. |