Briefwechsel 

zwischen

Friedrich Maximilian Klinger und Wilhelm Heinse, 

zunächst über

d a s  S c h a c h s p i e l

Heinse  an  Klinger.


                      Großer  König  der  Thiere !

      Schüttle  Deine  Mähne  nicht,  und  brülle !  und  sey  hübsch  Amor
Klinger !  Bin  mit  auf  einem  Zuge  durch Westphalen gewesen, und haben
meine   Wenigkeit   andre   Sächelchen   aufgehalten,   sonst  würde  eher zu 
Diensten  gestanden  seyn.
          Ich  nehme  die  Weißen  und  fange  an.
                 Der  Bauer  vom  König  zwey  Schritt.
            Sans  doute  werden  Ihre  schwarze  Majestät  gebieten:
                 Zwey  Schritt  vom  König  Bauer.
      Könnten  zwar  den  Ziffern   nach  noch   neunzehnerley  andre  gnädige 
Kommando´s  geben,   wenn  sie  in   die  Fußtapfen  des  hochweisen  Schah
Bahams  einzutreten  Belieben  stünden;   würden  aber  mit  unterthänigstem 
Respect  zu  vermelden,  dero  ganze  unüberwindliche  Armee  mit  allen ihren 
Regimentern,    bestehend  aus  sieben  Officieren,   und,   wo  ich  nicht  irre, 
acht  Gemeinen,  in  die  Pfanne  hauen  lassen.
       Sind außerdem  schon geschlagen,  und ist um ihre Sicherheit geschehen, 
weil  der  weiße  Monsieur  den  Angriff  gethan.
       Sieh,  lieber Bruder,  und  bekenne  Deiner  Geschicklichkeit  zu  Ehren 
die   Wahrheit  !      so    viel    Willkür     gestattet    das    Schachspiel. 
Wenn  ein  Paar  Stümper  spielen,   o  ja !   da  giebt´s   der  willkürlichen 
Züge  die  Menge;   aber  wenn   zwey  ausgelernte  Meister  daran  kommen, 
so  gewinnt  der,  welcher  anfängt.  Und  läßt  das  dem  angegriffenen  nach 
aller  Logik  nur  einen  einzigen  willkürlichen  Zug  zu ?    Ich  hoffe  nicht, 
daß  Dir  das  ein  Böhmisch  Dorf  seyn  wird.      Fast  zwar  sollt´  ich´s 
meynen,  nach  Deiner  Katechisation,  nehmlich :  ,, Wie  viel  tausend  Ver- 
änderungen  glaubst  Du,  daß  das  Spiel  hat ?   Multiplicire   die   Felder 
immer  unter  sich  und  gegen  einander,  so  wirst  Du  eine  ungeheure Zahl 
kriegen.,,   Das  wäre !   Da  könnten  Sie  wohl  in  bona  pace  länger  an 
einem  Spiel  spielen  als  unsers  Herrn  Gott´s   seine  Ewigkeit  ist,   die,
wie  einer  von  Herders  Propheten  sagt,  ewiger ist als  sonst  die  Ewigkeit 
zu seyn pflegt.
      Frage den größten Schachspieler,  welcher itzt existiert  (bekanntermaaßen 
der  Musicus  Philidor  in  Frankreich,  der mit vier gr0ßen Meistern zugleich 
spielt,  und  jedem  das  Spiel  abgewinnt,   wenn  sie  ihn  anfangen  lassen, 
und  dazwischen  noch   eine Aria   komponiert,    womit  Madam  Brochard 
vielleicht  in  Maynz  den  Sieg  über  die  Hellmuth  davon  tragen  könnte), 
er  wird  Dir  das  nehmliche  sagen.
     Das  Schachspiel  ist  ein  Spiel,  wie  eine Drehorgel  beym  Murmel- 
thier ein Instrument zum Phantasieren.  Ist  eigentlich  kein  Spiel,  sondern 
eine  Aufmerksamkeit.   Ist  eine  Schildwache  armseeliger  im  Grund,  als 
irgend  eine  Preußische  zu  Wesel  oder  in  Pommern :   Denn  die  können 
doch  noch  Gras  und  Blumen,  und  Wald  und  Berg  auf  ihrem  Posten 
sehen,   und  wenn´s  Winter  ist,  wenigstens  schönen  weißen  Schnee,  und 
Sonne,  Mond  und  Sterne,   ihre  Flinte  und  den  lieben  blauen  Himmel; 
und  obendrein  rufen : Abgelöst !  und : Wer  da ?  Was  kannst  Du  denn
aber  bey  Deinem  geviertelten  Dinge,    wenn  Du  nicht  einer  zu  gütigen 
Madam  S.....  gegenüber  Dich  hingepflanzt  hast ?
       Der  Herr  wirft  in  seiner  Epistel  gewaltig  um   sich  mit  General 
und  Armee,  worin  aber  die  Aehnlichkeit  mit  der  Armee  stecke,  weiß  er 
wohl  selbst  nicht.  Acht  Officire  und  acht  Bauern ?   und  schöne  Kunst 
von  Mutter  Natur  abstrahirt : zwey  Laufer  die  meilenweit laufen  können, 
ehe  die  absurden Pferde  einen Sprung  gethan !  und  eine  Königin,  gegen 
welche  die  Kaiserin  von  Rußland  eine  Bettlerin  ist !  und  einen  König, 
gegen  den  der  armseeligste  frigidus  und  maleficiatus  unter  allen  ausge- 
mergelten  und  zu  Grunde   gerichteten  Serailmännern  ein  Springinsfeld ! 
Des  dummen  Fuhrwerks   der   Thürme  nicht   zu   gedenken,   so  wie  der 
ganzen  übrigen  gothischen  Komposition.    ,,Sehen,  Verstehen,  Berechnen, 
zu  rechter  Zeit  wagen,   Verlieren,   um  dort  mit  mehrerem  Profit  weiter 
zu kommen,, ;  Das  ist  die  Sache : sagst Du ?  Großer Gott !  ich will Dir 
noch   hundert   excellentere   Redensarten  aus   dem   Kriegshandwerk  dazu 
spendiren,   in Latein,   wenn  Du  willst,   aus  dem  Cäsar  und  Curtius.
      Thust  Du  doch,  Brüderchen,  bey  Deiner Persiflage,  als  ob´s  Dein
völliger  Ernst  wäre.
      Daß  Du  hierbey  noch   einen  Ausfall  auf  die  guten  Weiber  thust, 
und  ihnen  die  Fähigkeit  absprichst,   es  weit  darin  zu  bringen,  hat  Dir 
die Verzweiflung eingegeben.
      Nur  ein  Loth  Brüsseler  Spitzen  ist,  beym unendlichen  Gewölbe des 
Himmels !    was  ganz  anders  als   ein  lumpichtes  Spiel  Schach.    Der 
Hauptzug  beym  schönen  Geschlecht  ist  Schwäche.      Der  Hauptzug  der 
Schwäche,   zum   Exempel   beym   Hofgesindel,   lauern,   aufpassen, i.  e. 
Aufmerksamkeit.    Das  Schachspiel  ist  weiter  nichts  als  eine  Aufmerk- 
samkeit,   sogleich   könnten Mesdames S.. u. F..  immer  und  ewig  den
Philidor  zu  Boden  spielen,   wenn´s   der  Narr  nicht  so  gut  auswendig
gelernt  hätte,   daß   er´s  allezeit  gewinnen  müßte    (wofür  er  besser  mit
Pergolesi  und  Piccini  sich  abgegeben).     Aber  sieh !     die  Angebeteten
halten  aus  Instinkt  sich  für  zu edel,  ein solch´ Gesindel zu  kommandiren. 
- Und  es  kann  einen  gescheuten  Kerl  auch  wirklich  nichts  anders  dazu 
zwingen,   als  die  Verzweiflung,   etwas  anders   zu  finden,  das  er  kom- 
mandiren  könnte.  Du  magst  für  dießmal  daran  nun wieder  genug haben. 
Ich  schäme  mich  fast,   nur  an  eine  Vergleichung  mit   dem  königlichen 
Billard  zu  denken.    Das  ist  in  der  That  ein  Spiel :  Spiel,  was  die 
Griechen  Spiel  hießen.    Richtiges   Augenmaaß,   was  Lichtenberg  schon 
allein  für  ein  untrügliches  Merkmal   eines   Menschen  von  Talent  hält, 
feste Hand,  scharfes Gefühl, das sinnlichste  Anschauen,  und den faßlichsten 
Begriff   von  der  großen  Idee   Bewegung,   was   noch   kein   Philosoph 
entwickelt,  das Tantillum Glück,  das  wie  Gewürz  und  Salz dazu  kömmt, 
der  unvergleichliche  Kopf  und  Herz  stärkende   Zeitvertreib,    bestehend  in 
immer  andrer  unvermischter  Gegenwart,   das  Freundschaftliche,   das  Ge- 
sellige,   die  Augenweide  für   die   Zuschauer,   das  Kriegerische,   wo  der 
Spieler  wie  ein Gott  ein  rundes  Stück  todtes Bein von einem Elephanten 
in  einen  lebendigen  raublüsternen  Adler  verwandeln  kann  - o !  ich  mag 
nicht  daran  denken !  sollst  den  Triumph  anderswo  lesen.
       Klötze können gut spielen ?    Meinst Du ?   Vielleicht aus Eigenliebe. 
Doch  es  sey.   -  -  -   Wer  bei  hellem  lichten  Tage  nicht  sehen  kann, 
muß  nothwendig  entweder  blind  seyn,   oder  schlafen.  Das  letztere  würde
natürlicher  Weise  der  Fall  bey  Dir  seyn,  weil  Du mir  noch  Widerrede 
halten  wolltest :   Nehmlich   Du   müßtest   noch   bis dato   ein   ziemlich 
schwacher  Gesell  im  Schachspiel  seyn.  Und  fast  dürf´t  ich´s  denken, da 
Du  mich  im  Grimm  herausforderst :    Weisheit  in  irgend   einer  Kunst 
gestattet  sonst  selten  Grimm : weil  Grimm  keine  Gegenwart  des  Geistes 
zuläßt.   Unterdessen  hab´  ich  meinen  Zug  gethan.   Du  kannst  nun  den 
rechten  oder  linken  Thurm  ziehen,    oder  Laufer,    oder  die  Pferde  ihren 
Hupf  thun  lassen  zur  rechten  oder  linken,  auf die rechte oder linke Seite : 
Summa  Summarum,   Du  kannst  bei  Deinen  zwanzig  ersten  möglichen 
Zügen  den  Finger  auf  die  Nase  legen,  oder  die  flache Hand  an Deinen 
Verstandskasten,        und     ,, sehen,     verstehen,     berechnen,     wagen, 
verlieren,,    und  so  fort,    so   gut   wie   bei   dem   zweiten  und  dritten.
Aber  wenn  Du  den   Bauer  vom  König  nicht   zwey   Schritt  ziehst, so
hast  Du  verloren;    und  wenn  ich  nicht  Achtung  geben  sollte,  weil  ich 
nicht  gern  Stundenlang  mit  leerem  Haupt  voll  Attention   da  sitze,   so 
hast  Du  doch  wie  ein  Einfaltspinsel  gespielt  und  bey allen guten Spie- 
lern Dich jämmerlich prostituirt.
     Kann  dieß  nun  nicht  auswendig  gelernt  werden ?       Und  kann  es
der  zweyte,  dritte  und  vierte  Zug  nicht  ebenso ?     Warum  denn  nicht ? 
Aber  ich  ziehe  so  und  so.  Meinetwegen :  aber  dann  verlierst  Du  das 
Spiel,   ohne  daß  ich  mich  darum  bekümmere.     Das  wäre  der  Teufel ! 
Nicht  anders.    Es  heißt  hier :   lerne  was  so  kannst  Du  was.    Und
wenn  Du´s  kannst,  so  hat  der  Spaß  ein  Ende.  Das ganze Schachspiel 
ist  weiter  nichts  als  ein  Burzelbaum  in  der  Idee :     es   geht   einmal 
krumm  und   einmal  zwerch,   aber  immer  überein.    Da  werden  Dir  die 
Rodomontaden   von   Berechnungen  und   dergleichen  Zeug  wieder  in  den 
Kopf  kommen ;   aber  laß  Dir  doch   nichts   weiß  machen.    Hätte  einer 
vom  Einmaleins  noch  nichts  gehört,   so  würde  er  den  für  einen  großen 
Hexenmeister  halten,   der  ihm  für  gewiß  sagte,    daß   7 mal  sieben  49
wäre,   wenn  er  siebenmal  nach  einander  sieben  Einsen  zusammengezählt 
und  endlich  herausgebracht  hätte,    daß  der  verdammte  Kerl  Recht  habe.

                                                                      Heinse.
                                            __________
 

Quelle:  Aus dem Gedenk - Buch  zur vierten Jubelfeier der Erfindung der 
Buchdruckerkunst begangen zu  Frankfurt am Main am 24. ten und 25. ten
Junius 1840 - Eine Festgabe herausgegeben von den Buchdruckern, Schrift-
giessern und Buchhändlern.   - Erinnerungsblätter aus dem geistigen Leben
der Vergangenheit  (1756 - 1833).      - Aus der Sturm und Drangperiode.
- Briefwechsel zwischen Klinger und Heinse,  zunächst über das Schachspiel
Seite  101 - 105.


 
 


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