Briefwechsel 

zwischen

Friedrich Maximilian Klinger und Wilhelm Heinse, 

zunächst über

d a s  S c h a c h s p i e l

Wilhelm Heinse an Klinger in Mainz.



                                             Düsseldorf, im Dezember 1777.

       Nur  wenig  Worte,   lieber  Klinger !   weil  ich  Dir  doch  gleich
schreiben  soll :   denn  es  ist  heute  heilloses  Wetter,  und  Wasser  der
Himmel  und  Wasser  die  Luft  und  Wasser  die  Erde,  daß man Floß -
federn  kriegen  und  gleich  zum  Hecht  oder  Aal  werden möchte.
        Gern  wollt´ ich  bei  Euch  seyn  in  Mainz,   allein  für  ißt ist es
mir nicht möglich.   Hier  der  Brief  von  Lenz.
        Wegen  des  Schachspiels  jubilire  nur  nicht  vor  der  Zeit,   wenn 
wir  wieder  zusammenkommen,    sollen  Dir  schon  meine  Bauern  allein 
genug  zu  schaffen  machen.  Nichts  desto  weniger  halt´ ich  es  doch  für
ein  verwerfliches  Spiel.  Es  ist  ein  Problem,  dessen  Auflösung  in  der
Gefangenschaft  des  Königs  besteht ;  und  kann auswendig  gelernt werden,
weil  es  wenig  willkührliche  Züge  giebt,  wenn  man  das  Spiel  versteht;
und  dann  gehört  weiter  nichts  dazu  als  Aufmerksamkeit,  und  wie  Du
nicht  leugnen  wirst,   kann  der  mittelmäßige Kopf  eher mit leerem Haupt
stundenlang  auf  etwas,  wobei  nichts  zu  hören,  zu sehen,  zu  schmecken,
zu  riechen  und  zu  fühlen  ist,  Achtung  geben,  als der Mann von  Geist
und Phantasie,  honneur  a´  l´espirit,  also  bei  Seite !  Es ist ein  abge - 
schmacktes Klosterspiel :  denn wenn ich  meine  Aufmerksamkeit so strap -
peziren  will,   so  thu´ ich  etwas  gescheiter´s,     Wie  lob´ ich  mir  dafür
das  edle  Billard !  Die  Worte,  die  davon,  wie  man  meint,  im  Homer
und  im  Euripides  stehen  sollen,  sind  mir  wohl  bekannt ;   wer hat aber
noch  bewiesen,  daß  sie  da  das  Schachspiel  bedeuten ?  Und wenn  auch,
so  konnten den  Griechen,  wenigstens  zu  Homer´s  Zeiten,  doch  wohl  die
besseren  Mittel  fehlen,  die  wir  haben,  ihren  Verstand  zu schärfen. Und
wie  schärft´s   endlich   den  Verstand  ?    Kann  einer  nicht   der  größte
Schachspieler  seyn,  und  in  manchen anderen  Sachen  keinen Hund  aus
dem  Ofen  locken,  wie  zum  Exempel  die  Bauernjungen  aus  Ströpke ?
Lieber  Bruder  bedenk  das  einmahl  und  untersuch´ es  mit  der fürtreff -
lichen  Donna  und  dem  scharfsinnigen  Seiler,   und  leg´  Dich  darüber
schlafen. Hernach  schreib´ mir  euer  Urtheil ;  denn ich will etwas  darüber
in  dem  Merkur  drucken  lassen,  und  dabei  eine  Vergleichung mit  dem
edlen  Billard  anstellen,   auf  dem  ich  izt  bei  uns,    Ehre  dem  feinen
Gefühl,  dem  richtigen  Auge  und  der  festen  starken  Nerve,  der  Han -
nibal heiße.
       Fritz  und  Georg  und  der  Graf  und  ich  grüßen  und  küssen die
reitzende  Medea,  ihren  edlen  Unjason  und  Dich,   und  Betty  und  die
Schwestern  grüßen  auch  freundlichst und  umarmen die schöne Orsina.
         A  propos wegen des  Merkurs !   schaff´  Dir doch  das Stück von
diesem  Monat  an ;  Du  wirst  Deine Lust  daran  haben,  wie  ich  Dir
darin  den  dummen  Teuffel  von  Lemgo  ausgepfiffen.  Du Löwe  solltest
Dir  auch  so  etwas  in  der  gelehrten  Welt  aussuchen,  das Du  zausen
und  raufen  und  bemaulschellen  könntest,   wenn  Dir  der  Appetit  dazu
ankäme,  damit  Du  Dich  nicht  immer  sebst  mit  Deinen  Klauen  aus
überschwenglicher  Kraft  und  Stärke  hinter  die  Ohren schlagen müßtest,
wörüber dann Deiner Donna  die  hellen  Thränen  in  die klaren  Aeuglein
treten. - - 
       Was  macht  Dein  Göttersohn ?   Wenn ich Dir noch  etwas  auf -
tragen darf,  so wirf Dich,  Löwe,  dem  Herzen  voll  Freude  zu  Gefallen,
dem  süßen  Madonnenmunde,    und  dem  Auge  voll  Liebe  von  Natur,
aber  ich  muß  Dir  doch  sagen,  meiner  schönen  B....  zu Füßen,  und
hehauch´ ihr,  als  ob  Du  küssen  wolltest,   in Demuth  die  zarte  Hand,
und  sag´  ihr,  was ich ihr noch  nicht habe  sagen  können,  über  sie  als
Emilie  und  als  Kallipyga  im  Tanze.   Erklär´  ihr  aber,  hörst  Du !
das fremde Wort fein ordentlich !
       Nun  gute  Nacht,  lieber  Trauter !  schlafe wohl,  und  schreib´ mir
bald etwas von Maynz,   in  dessen Dohm  das  Wetter  eingeschlagen hat,
was Du Dir zeigen lassen mußt.
                                          _________
 
 

Quelle:  Aus dem Gedenk - Buch  zur vierten Jubelfeier der Erfindung der 
Buchdruckerkunst begangen zu  Frankfurt am Main am 24. ten und 25. ten
Junius 1840 - Eine Festgabe herausgegeben von den Buchdruckern, Schrift-
giessern und Buchhändlern.   - Erinnerungsblätter aus dem geistigen Leben
der Vergangenheit  (1756 - 1833).      - Aus der Sturm und Drangperiode.
- Briefwechsel zwischen Klinger und Heinse,  zunächst über das Schachspiel
Seite  97 - 99.


 
 


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